Vision & Mission

Verwenden statt verschwenden – 10 Jahre foodsharing-Bewegung – Da geht noch was!

EINLEITUNG

Vor zehn Jahren, am 12.12.2012, ging die Plattform „foodsharing.de“ online. Vorausgegangen waren ein Buch und ein Kinofilm gegen den Skandal der weltweiten Lebensmittelverschwendung sowie erste Supermarktkooperationen und Abholungen von Lebensmittelretter*innen.

Das Problem Lebensmittelverschwendung war damals noch neu in der Wahrnehmung in Deutschland: Es gab weder statistische Erhebungen noch wissenschaftliche Untersuchungen oder Studien dazu. Angestoßen durch die foodsharing-Initiative bewegte sich Einiges: Es kam zu einem enormen Medienecho, parteiübergreifender Zustimmung und dem Appell, die Verschwendung in Deutschland, auch mit Hilfe gesetzlicher Regelungen, bis zum Jahr 2020 zu halbieren. Das Bundeslandwirtschaftsministerium gab daraufhin eine erste Studie in Auftrag (ohne Berücksichtigung der Landwirtschaft) und startete die nur an den Endverbraucher gerichtete Kampagne „Zu gut für die Tonne“. Später wurde das Halbierungsziel auf das Jahr 2030 verschoben und sogenannte Dialogforen zwischen Produzenten, Industrie, Handel, Gastronomie und privaten Haushalten ins Leben gerufen. Es begann ein Ringen um die Zahlen und Daten, die an die EU geliefert werden mussten. Im Fokus stand die Frage, um welche Mengen es geht und wie viel von welchen Akteur*innen weggeschmissen wird. Der Tenor der Bundesregierung lautete durchweg: Möglichst niedrig rechnen und den Endverbraucher als Hauptübeltäter erscheinen lassen! Daher wurden auch keine gesetzlichen Vorgaben, Kontrollen oder Regelungen erlassen und stattdessen auf freiwillige Verpflichtungen gesetzt.

Was hat sich nun in den letzten zehn Jahren getan und verändert?

Das öffentliche Problembewusstsein zum Thema ist deutlich gestiegen. Einige Unternehmen, Gastronom*innen und Supermärkte haben sich zu weniger Lebensmittelverschwendung verpflichtet, Lieferketten wurden effizienter gestaltet und entsprechende Aktionen und Rabattierungen bei MHD-nahen Produkten eingeführt. 

Aber nach wie vor wird mehr als ein Drittel der produzierten Lebensmittel in Deutschland vernichtet (Quelle). Die absolute Zahl der Lebensmittelabfälle ist über die Jahre weiter angestiegen, nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU: Heute werden hier mehr genießbare Lebensmittel untergepflügt, aussortiert und weggeschmissen als importiert (Quelle). Die ungebremste Verschwendung besteht nach wie vor und von einer tatsächlichen Halbierung in den noch verbleibenden acht Jahren bis 2030 ist nur zu träumen.

VISION

Ja, wir träumen von einer Welt, in der das lokale sowie globale Ernährungssystem alle Menschen auf dieser Welt satt und zufrieden macht, in der die meisten Lebensmittel aus lokalem Anbau stammen und ein kleinerer Teil über einen internationalen Handel zu fairen Bedingungen stattfindet. Wir wünschen uns eine Welt, in der die Grenzen unseres Planeten gewahrt werden und der nachhaltige Umgang mit unseren Ressourcen eine Selbstverständlichkeit ist. In unserer Vision braucht es die Organisation foodsharing nicht mehr, da es Lebensmittelverschwendung gar nicht mehr gibt, sondern jeder Mensch und jedes Unternehmen dafür Sorge trägt, dass produzierte Nahrung nicht vergeudet, sondern in dankbaren Mägen landet. 

Auf dem Weg zu dieser Vision bedarf es eines dringend notwendigen und grundlegenden Umbaus unseres Ernährungssystems und Konsumverhaltens im Sinne einer echten Ernährungssouveränität. Denn wir wollen nicht länger in einer Welt leben, in der global agierende Agrarkonzerne bestimmen, was wir anbauen und essen – einer Welt, die geprägt ist von exzessivem Konsum und Überfluss, Umweltzerstörung und globaler Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur.

Nur gemeinsam können wir den selbstzerstörerischen Charakter unserer Überflussgesellschaft stoppen: Jeder Mensch besitzt die Fähigkeit, einen Teil dazu beizutragen und verantwortlich zu handeln. Daher arbeiten die Engagierten bei foodsharing weiter daran, dass das notwendige Retten von Lebensmitteln irgendwann überflüssig sein wird. Wir setzen uns mit unserer Kraft dafür ein, dass die systematische Überproduktion und die daraus resultierende Verschwendung von Lebensmitteln endlich ihr Ende findet. 

MISSION

foodsharing setzt sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und ein nachhaltiges Ernährungssystem ein. Dabei steht an erster Stelle das Ziel, die Verschwendung von Lebensmitteln bis zum Jahr 2030 zu halbieren und in der Folge zu beenden. Um dies zu erreichen, ist unsere Mission, die aktuellen Probleme der globalisierten Weltwirtschaft und den Irrsinn der Überflussgesellschaft erlebbar und sichtbar zu machen und ein Umdenken anzuregen. Neben verstärkter Politik, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, forcieren wir die Bildungsarbeit auf allen Ebenen. Eine nachhaltige Entwicklung und Veränderung unserer Lebens- und Wirtschaftsweise erfordert einen aktiven, handlungsbezogenen Bildungs- und Transformationsprozess für globale Gerechtigkeit und in Verantwortung für zukünftige Generationen. 

Wir stellen konkrete politische Forderungen auf Landes- und Bundesebene: Wir engagieren uns gegen den Verpackungswahnsinn, gegen unnötige Handelsnormen und für Rechtssicherheit für Lebensmittelretter*innen sowie ein überarbeitetes MHD. Wir fordern einen sofortigen gesetzlichen Wegwerf-Stopp für Supermärkte, wie dies bereits in anderen EU-Ländern erfolgreich umgesetzt wurde. Wir wollen Transparenz und klare Minderungsziele über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Wir unterstützen alternative und ressourcenschonende Ernährungskonzepte wie beispielsweise die Solidarische Landwirtschaft.

foodsharing sensibilisiert für diese Themen bei allen Akteur*innen, mit denen die Initiative in Kontakt steht. Bei unterschiedlichen Aktionen machen wir auf die unglaubliche Verschwendung in der Gesellschaft aufmerksam und bieten Lösungsansätze an. Dafür schreiben wir Petitionen, sind in Kontakt mit Politiker*innen, geben Interviews, gehen demonstrieren und retten täglich tonnenweise Lebensmittel vor der Vernichtung. Ziel ist es, auf persönlicher und politischer Ebene Aufklärung, Umdenken und verantwortliches Handeln nachhaltig anzustoßen. 

foodsharing macht die Probleme der globalisierten Weltwirtschaft praktisch greifbar und regt so zu einem wirklichen Umdenken an. Über das Wissen zu Klimawandel, Umweltzerstörung, globaler Ausbeutung sowie Hunger und Armut hinaus, zeigen wir Wege zum konkreten Handeln und einer echten Wertschätzung von Lebensmitteln auf. Dadurch werden praktische Änderungen im Alltagsverhalten hin zu einem nachhaltigeren Konsum gefördert und gelebt. 

Unsere Organisations- und Austauschplattform foodsharing.de ist und bleibt kostenlos, nicht kommerziell und ohne Werbung. Die Tätigkeiten basieren auf ehrenamtlichem und gemeinnützigem Engagement. Das Retten und Teilen von Lebensmitteln findet geldfrei statt. foodsharing ist eine Umweltorganisation mit der Absicht, Ressourcen zu schonen, indem genießbare Lebensmittel verwendet statt verschwendet werden. Wir stehen dabei nicht in Konkurrenz zu anderen Initiativen, die sich gegen Essensverschwendung einsetzen. Wir lassen allen mildtätigen Organisationen bewusst den Vortritt, um gerettete Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen. foodsharing ist die "letzte Bastion vor der Mülltonne". 

Über foodsharing werden Lebensmittel an alle Menschen verteilt. Wir verstehen uns als offene, inklusive Organisation. So werden Ausgrenzung, Rassismus, Sexismus und Diskriminierung in jeglicher Form ebenso wenig toleriert wie Belästigungen, Beleidigungen, Beschimpfungen, Diffamierungen und faschistische oder rassistische Äußerungen. foodsharing kooperiert daher nicht mit Parteien, Organisationen oder Einzelpersonen, die rassistische, antisemitische, sexistische oder sonstige menschenverachtende Positionen vertreten. Viel mehr fördert foodsharing die Vernetzung, Integration und Gemeinschaftsbildung. Wir formen lokale Gemeinschaften für ein wertschätzendes Miteinander und Engagement über bewusst subsidiäre Strukturen. 

 Zu den Themen Nachhaltigkeit, gesunde Ernährung und Lebensmittelverschwendung veranstalten wir neben der überregionalen Bildungsarbeit viele dezentrale Workshops, bieten gemeinschaftliche Kochevents und Diskussionsrunden an und halten Vorträge und Lesungen.

Wir fördern die Vernetzung durch gemeinsame Aktionen mit anderen Nachhaltigkeitsinitiativen sowohl in Groß- und Kleinstädten als auch verstärkt in ländlichen Regionen, beispielsweise über Nachbarschaftsgruppen, Urban-gardening-Aktionen, Fahrraddemos/Critical Mass, Tauschläden, Repair-Cafes, Infoständen, auf Festivals und in vielen weiteren Zusammenhängen.

 foodsharing bringt Menschen unterschiedlichster Hintergründe zusammen und regt zum Mitmachen, Mitdenken und einem verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten an. Dabei geht das Engagement bei foodsharing weit über das reine Lebensmittelretten hinaus. Die Organisation lebt davon, dass sich Menschen auf vielfältige Art und Weise mit ihren Stärken und Interessen einbringen. Es gibt keine andere Initiative dieser Größe im deutschsprachigen Raum, welche in diesem Umfang ehrenamtlich tätig ist, öffentlich macht, wie viele Lebensmittel tatsächlich weggeworfen werden und aus einer Nachhaltigkeitsperspektive wirkungsvolle Lösungsansätze anbietet. 

Wir machen uns bereit für weitere zehn Jahre des unermüdlichen Handelns gegen Lebensmittelverschwendung und für einen echten Wandel unserer Ess- und Konsumkultur.
Macht alle mit!